"Bremen wird beweisen, dass es im Wettbewerb mit anderen Standorten zur
Call Center City Nr. 1 in Deutschland avanciert", so die bremische
Wirtschaftsförderung Mitte der 90er Jahre. Auch wenn das Ziel verfehlt wurde
– mit z.Zt. 55 Call Centern und ca. 2 500 Beschäftigten sind Call Center ein
wichtiger Beschäftigungsbereich.
Call Center sind eigenständige Betriebe oder Betriebsabteilungen, die mit
dem Ziel eingerichtet wurden die telefonischen Kundenkontakte zu intensivieren,
effektivieren und zugleich Kosten zu sparen. Der verstärkte Wettbewerb im
Dienstleistungssektor führte dazu, dass der Call Center-Bereich zu den
größten Wachstumsbranchen in Deutschland zählt. Es handelt sich allerdings
nur zum Teil um neu geschaffene Arbeitsplätze. Gegenübergestellt werden
müssen die Arbeitsplatzverluste durch Ausgliederung bzw. Verlagerung in anderen
Unternehmen bzw. Regionen. Trotzdem kann kaum ein anderer Bereich solche
Beschäftigungszuwächse verbuchen – ein Ende des Booms ist gegenwärtig kaum
abzusehen. Zu unterscheiden sind – vereinfacht - unternehmens- und
konzerninterne Call Center sogenannte Inhouse-Call-Center und externe
Dienstleister, d.h. eigenständige Dienstleistungsunternehmen, die
marktorientiert für mehrere Unternehmen tätig sind. Call Center können sowohl
"inbound" oder "outbound" arbeiten. Bei "inbound"-
Tätigkeit werden Anrufe von KundInnen wie Bestellungen oder Beschwerden
entgegen genommen, bei "outbound"-Tätigkeiten führen die Agents von
sich aus Telefonate (z.B. Verkaufsgespräche) durch.
Werden Call Center von Politik und Wirtschaft insbesondere in
strukturschwachen Regionen wie u.a. in Bremen nur zu häufig als
"Job-Maschinen" , als Hoffnungsträger regionaler Strukturpolitik
gesehen , so klagen die Beschäftigten über relativ schlechte
Arbeitsbedingungen und Einkommensmöglichkeiten. Zugleich sprechen Call Center
Betreiber von einem ausgeprägten Mangel an qualifizierten Fachkräften. Es
besteht Handlungsbedarf.
Betriebsbefragung "Call Center City Bremen"
Das verfügbare Wissen über Call Center Organisations- und Arbeitsformen ist
vergleichsweise gering. Mehr Wissen und Transparenz über diesen expandierenden
Beschäftigungsbereich ist jedoch die Voraussetzung, das Image der Call Center
und der Call Center Agents in der Öffentlichkeit zu verbessern und Hinweise
für eine Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen und möglicherweise
bisheriger Qualifizierungsstrategien zu liefern.
Für das Land Bremen, das sich den Begriff "Call Center City
Bremen" gesetzlich schützen ließ und relativ früh die Ansiedlung von
Call Centern zu einem Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung machte, wurde
deshalb in Zusammenarbeit mit dem Rationalisierungs- und Innovations Kuratorium
der Deutschen Wirtschaft (RKW) eine Betriebsbefragung der Call Center im Land
Bremen durchgeführt. Einbezogen wurden sowohl Inhouse-Call-Center als auch
externe Dienstleister.
Allein von 1995 bis 2000 sind von der bremischen Wirtschaftförderung 16 Call
Center mit 2000 geplanten Arbeitsplätzen angesiedelt worden. Bremen hat
explizit um standortunabhängige Call Center geworben.
An der Betriebsbefragung beteiligten sich 46 Betriebe mit insgesamt 2 340
Beschäftigten. 70 Prozent der Betriebe (32 Unternehmen) entfielen auf die
Gruppe der Inhouse Call Center und 30 Prozent (14 Unternehmen) auf die Gruppe
der externen Dienstleistungs Call Center. Damit können Aussagen – mit aller
gebotenen Vorsicht – für mehr als 80 Prozent aller bremischen Call Center und
Beschäftigten gemacht werden. Die Analyse ist getrennt nach Inhouse Call
Centern und externen Dienstleistungs Call Centern erfolgt.
Erhoben wurden umfangreiche Daten zu den Bereichen Unternehmensstruktur,
Tätigkeitsschwerpunkten, Beschäftigtenstruktur, Qualifikationsanforderungen,
Arbeitsbedingungen und Zukunftstrends.
Einige ausgewählte Trendergebnisse:
Unternehmensstruktur
- Die weit überwiegende Mehrheit der Betriebe existiert seit weniger als drei
Jahren. Das gilt für die externen Call Center aber auch erstaunlicherweise
für die Inhouse Call Center, von denen der größte Teil rechtlich
selbständig ist.
- Die durchschnittliche Betriebsgröße bei den Inhouse Call Centern liegt
bei 40 MitarbeiterInnen und bei den externen Call Centern bei etwa 100.
- Für die Inhouse Call Center wurde ein dominanter Wirtschaftsbereich
"Groß- und Einzelhandel" festgestellt, hier deutet sich ein
Zusammenhang mit regionalen Stammunternehmen an. Externe Dienstleister sind
demgegenüber mehrheitlich tätig im Bereich
Telefonmarketing/Telefondienstleistungen und bilden damit eine eigene
"Branche".
- Tätigkeitsschwerpunkte für Inhouse Call Center sind "Auskunft
erteilen", "Fachlich beraten" und "Serviceleistungen
anbieten"; für externe Dienstleister:"Verkaufen",
"Bestellungen entgegennehmen" und
"Beschwerdemanagement".
- Bei den Inhouse Call Centern dominieren inbound Tätigkeiten, wenngleich
das Spektrum variiert bis zu 100% outbound. Bei den externen Dienstleistern
werden zwar relativ mehr outbound Tätigkeiten ausgeführt, aber
vorherrschend ist eine große Vielfalt zwischen in- und outbound
Tätigkeiten, die sich zudem je nach aktuell bearbeiteten Projekten
verändert.
Beschäftigungsstruktur:
- Vollzeitbeschäftigte stellen in Inhouse als auch – abgeschwächt - in
externen Call Centern die Mehrheit. Wider Erwarten liegt die Teilzeitquote in
externen Dienstleistungs Call Centern relativ niedriger als in Inhouse Call
Centern, zu erklären durch die Nichtvereinbarkeit der dort vorherrschende
7-Tage/24 Std. Betriebszeit, mit den Arbeitszeitbedürfnissen vieler Frauen.
Dafür finden sich hier deutlich mehr 630,-DM-Beschäftigte. Die
durchschnittliche Frauenquote lag bei externen Dienstleistern mit 70 Prozent
über den Werten für Inhouse Call Center.
- Call Center, insbesondere externe Dienstleister, scheinen gute
Beschäftigungsmöglichkeiten für diejenigen Personengruppen zu bieten, die
erstmals oder wieder einen Zugang zum Arbeitsmarkt suchen. Das gilt u.a.
für Berufsrückkehrerinnen aber auch für Studienabbrecher,
Studienabsolventen.
- Mehrheitlich arbeiten in den Call Centern jedoch AbsolventInnen einer
betrieblichen - zumeist kaufmännischen – Berufsausbildung. Die Quote der
Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung scheint in Inhouse
Call Centern noch relativ höher zu sein. Hier wurden offenbar viele
Beschäftigte aus den Stammunternehmen übernommen.
- Bei den externen Call Centern ist die intensive Nutzung der
Telefonarbeitsplätze auffallend. In einem größeren Betrieb werden
ausschließlich Teilzeitverträge vergeben (30-Std.), in einigen kleineren
Centern nur geringfügig Beschäftigte eingesetzt. Auch befristete
Arbeitsverträge finden sich offenbar vorwiegend hier, es gab Hinweise auf
Änderungskündigungen von unbefristeten Verträgen.
- Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sind in externen Call Centern
eher die Ausnahme während sie in Inhouse Call Centern mehrheitlich die
Regel sind. Auch bei den aus- bzw. neu gegründeten Inhouse Call Centern ist
durchweg (noch) eine tarifrechtliche Absicherung gegeben und zumeist
existiert eine betriebliche Interessenvertretung. In externen Call Centern
gibt es hier erhebliche Vorbehalte: Betriebsräte sind bislang noch die
Ausnahme.
Zukunftstrends
- Gemeinsam ist den Call Centern, dass sie in der Vergangenheit stark
expandiert haben und für die Zukunft teilweise exorbitante Zuwachsraten
anpeilen. Die Entwicklungssprünge bei den externen Dienstleistung Call
Centern sind jedoch erheblich größer. Der Boom der Call Center scheint nicht
abgeschlossen, wenngleich es auch vereinzelt skeptische Stimmen gab –
zumeist bei den Inhouse Call Centern.
- Mehrheitlich wurde die Meinung vertreten, dass Call Center in der
Ausprägung einer verbesserten Telefonzentrale keine Überlebenschancen
haben. Es wird erwartet, dass die Anforderungen komplexer werden und
fachlich anspruchsvoller. Insbesondere wird die zunehmende Einbeziehung
neuerer Kommunikationsstrategien nicht nur erwartet sondern teilweise schon
praktiziert (z.B. Internet, e-business, business to business; business to
customer). Daneben wird ein Trend in Richtung "Communication
Center", "information pool", "Customer care Center"
erwartet.
Schlussfolgerungen und Forderungen aus Arbeitnehmersicht:
Politik und Wirtschaft in Bremen setzten auf Call Center als Garanten für
Beschäftigungswachstum in den neuen Dienstleistungsbereichen. Die Akquisition
von Call Centern wurde als Beitrag zur Bewältigung des Strukturwandels in
Bremen bewertet, verbunden mit der Hoffnung, dass hier
Beschäftigungsmöglichkeiten für mittel und niedrig Qualifizierte geschaffen
werden.
Die empirische Bestandsanalyse hat nun ergeben, dass
- der Beschäftigungsbereich Call Center ist nicht geeignet das Problem der
strukturellen Massenarbeitslosigkeit zu lösen.
So ist der im industriellen Bereich qualifizierte (männliche) Facharbeiter,
der seinen Arbeitsplatz verloren hat (z.B. Schiffbauer) kaum geeignet für eine
Tätigkeit als Call Center Agent.
- Call Center sind kein Beschäftigungssektor für niedrig Qualifizierte
Die Mehrheit der bremischen Call Center hat heute bereits hohe
Qualifikationsanforderungen, die in Zukunft noch ansteigen werden. Die
Minderheit von Call Centern, mit geringeren Qualifikationsanforderungen,
verlieren an Bedeutung.
- Gute und zuverlässige Mitarbeiter werden für das einzelne Unternehmen
immer wichtiger.
Die Mitarbeiterbindung ist eines der aktuellen Zukunftsthemen.
Nach der quantitativen Aufbauphase muss es jetzt um die qualitative
Weiterentwicklung dieses prosperierenden Beschäftigungsbereiches gehen. Hierzu
gehört nach Auffassung der Arbeitnehmerkammer Bremen unabdingbar die
Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Einkommens- und Aufstiegsmöglichkeiten
sowie der Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Ziel einer Verringerung der
Fluktuation. Dann könnten die Call Center dem Ruf als Hoffnungsträger eher
gerecht werden, zudem hier offenbar eine Vielzahl von Arbeitsplätzen entsteht
die auch Frauen, älteren ArbeitnehmerInnen, möglicherweise Behinderten einen
niedrigschwelligen Zugang zum Erwerbssystem ermöglicht.
Fazit:
Das Land Bremen hat vor allem auf die Ansiedlung von standortunabhängigen
Call Centern gesetzt, wobei die teilweise sehr problematischen Arbeits- und
Entlohnungsbedingungen offenbar in Kauf genommen wurden. Diese Politik ist
angesichts der Strukturschwäche der Region nachvollziehbar. Die Probleme werden
sich jedoch kaum naturwüchsig von selbst regulieren. Die Arbeitnehmerkammer
erwartet deshalb zum einen, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit bei
Neuansiedlung stärker beachtet wird (stärkere Verknüpfung mit den regionalen
Branchenstrukturen) und ergänzend auf eine gezielte Bestandspflege ansässiger
Call Center gesetzt wird. Zum zweiten sollten bei Vergabe öffentlicher Mittel
wenigstens Mindeststandards in den Betrieben sichergestellt werden. Die
Einrichtung einer betrieblichen Interessenvertretung sowie tarifvertragliche
Reglungen sind ein wichtiger Schritt zur angestrebten Normalität dieses
Beschäftigungsbereiches, die von der Arbeitnehmerkammer Bremen aktiv
unterstützt wird.