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Psychische Belastungen an Call-Center-Arbeitsplätzen

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Information und Diskussion

 

 

Der folgende  Beitrag aus dem Projekt ComCall (Computereinsatz und Arbeitsgestaltung in Call-Centern), an dem auch das TBS der Arbeitnehmerkammer beteiligt ist, erschien im Bremer Arbeitnehmermagazin (BAM), Ausgabe 2/01. 

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Psychische Belastungen an Call-Center-Arbeitsplätzen

Erfahrungen aus dem Bremer Projekt ComCall

Prof. Dr. Susanne Maaß, Dipl. Inform. Margita Zallmann
Universität Bremen

Ein Bildschirmarbeitsplatz in einem Call-Center

Call-Center erstellen Dienstleistungen für die Kunden eines Unternehmens, Klienten einer sozialen Organisation etc. – und zwar unmittelbar und abschließend im telefonischen Kontakt. Sie treten in vielerlei Formen auf, mit erheblichen Unterschieden ihrer Aufgaben, Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen. Wir betrachten hier exemplarisch einen Arbeitsplatz, der nur einen Ausschnitt darstellt.

Ein Kaffeeunternehmen beliefert firmeneigene Cafeterias mit Kaffee und Zubehör und empfiehlt dafür Bestellungen über eine einheitliche Telefonnummer. Seine KundInnen sollen innerhalb ihrer geschäftsüblichen Zeiten ohne lästige Wartezeiten telefonisch bestellen können sowie prompt beliefert werden. Ein Call-Center erfasst die Bestellungen in Auftragsarbeit. Zuständig ist eine Gruppe von 10 "Agents" und einer TeamleiterIn. Sie arbeiten an Bildschirmarbeitsplätzen mit angeschlossenem Telefon und Headset (zusammen mit weiteren Gruppen) in einem Großraumbüro. Die Arbeitsplatzcomputer sind mit einem Mix aus neuerer Call-Center-Software und der üblichen Bestellsoftware des Lieferanten ausgestattet. Sie sind mit dem zentralen Computer-Telefon-System des Call-Centers verbunden und haben Zugriff auf die Produkt- und Kundendatenbank des Kaffeeunternehmens.

Ein hereinkommender Kundenanruf wird von der elektronischen Anrufverteilung des Call-Centers automatisch an eine gesprächsbereite MitarbeiterIn geleitet; parallel zur Anrufvermittlung werden ihr die relevanten Kunden- und Anrufdaten auf dem Bildschirm eingeblendet. Sie nimmt die Bestellung entgegen und gibt die zugehörigen Daten in das Bestellsystem ein. Nach dem Gespräch ergänzt sie die Eingaben und schickt die Bestellung an eine Lieferstelle. Neben den aktuellen Bestelldaten wird auch eine Kundenkontakthistorie gespeichert. Die KollegInnen der Gruppe können sich dadurch bei zukünftigen Kundenanrufen schnell ein Bild über die vorangegangenen Gespräche und Bestellungen machen.

Psychische Belastungen

Psychische Belastungen entstehen, wenn auf Grund organisatorischer Vorgaben oder organisatorischer und technischer Bedingungen das Arbeitshandeln erschwert, behindert oder sogar blockiert wird. Psychische Belastungen verursachen Stress. Krankheiten mit vielfältigen Symptomen wie Rückenschmerzen, Konzentrationsstörungen, Erschöpfungszuständen sind ihre längerfristige Folge. Wir zeigen im Folgenden einige psychische Belastungen auf, die aus den Bedingungen von Call-Center-Arbeit entstehen.

Behinderungen der Kommunikationsarbeit

Call-Center-Arbeit ist nur zu einem Teil zum Bürobereich vergleichbare produkt- bzw. sachbezogene Bildschirmarbeit. Vielmehr ist sie ohne das Telefongespräch zwischen AgentInnen und KundInnen gar nicht denkbar. Wenn eine Bestellung aufgenommen wird, sind auch Fragen zu Packungsgrößen, Preisvorteilen, Lieferzeiten etc. sofort mündlich zu beantworten. Vielleicht ändern Kunden noch einmal die Aufträge, wenn sie Höhe und Zusammensetzung der automatisch berechneten Beträge erfahren. Manche wollen gar nicht bestellen, sondern Lieferungen reklamieren, sich beschweren oder eigentlich den technischen Service sprechen. Nicht immer liegen Problemursachen und -lösungen auf der Hand, sondern sind erst detailliert zu klären.

AgentInnen müssen diese Gespräche situationsangemessen und eigenständig führen können. Die Vorgaben der Arbeitsorganisation, deren Einhaltung z. B. durch zufällige Testanrufe kontrolliert wird, führen oft jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Beispielsweise ist es weit verbreitet den Dialogablauf durch schriftliche Gesprächsleitfäden zu beeinflussen. Besitzen sie eine offene Struktur, die von den AgentInnen abwandelbar ist, werden sie als Hilfe empfunden. Sie behindern aber die Gesprächsführung, wenn sie den Gesprächsablauf fest vorschreiben, womöglich durch wörtliche Formulierungen. Es gibt verbindliche Floskeln zur Begrüßung und zum Gesprächsende, ferner eine Fülle von Anweisungen wie z.B. Kunden persönlich anzureden, Gespräche freundlich zu führen und keine Pausen entstehen zu lassen.

Von den AgentInnen wird eine persönliche Kundenorientierung verlangt, die sich manchmal auf Stereotypen wie das "Lächeln in der Stimme" zu reduzieren scheint. Nicht immer stößt das vorgeschriebene Agentenverhalten auf Sympathie bei den Gesprächspartnern. Der Umgang mit verärgerten Kunden stellt aber zusätzliche Belastungen der Agentenarbeit dar.

Behinderungen durch unergonomische Software

Die Software am Arbeitsplatz sollte die Telefonarbeit unterstützen. Meist jedoch erweist sie sich als besondere Belastungsquelle. Das fängt schon damit an, dass es oft nur unter Anstrengungen möglich ist die relevanten Bildschirmanzeigen aus zu klein geschriebenen, ungruppierten Zeichenkolonnen oder vor schwarzem Hintergrund herauszusuchen. Die Eingabemenge wird unnötig vergrößert, wenn innerhalb eines Gespräches bereits gespeicherte Daten erneut zu erfassen sind oder jeder Anruf dieselben Standardeinträge erfordert. In einem Fall zählten wir 30 Mausklicks nur zur Abwicklung einer Telefonverbindung, ohne dass inhaltliche Eingaben erfolgten. Insgesamt führen die Darstellungen und Dialogführungen zu körperlichen und psychischen Belastungen, die bereits für eine reine Sachbearbeitung unzumutbar sind. Sie behindern darüber hinaus wesentliche Teile der Kommunikationsarbeit. Beispielsweise zwingen lange Antwortzeiten die AgentInnen systembedingte Gesprächspausen zu überspielen. Oft sind die für einen Aufgabenbereich gebrauchten Felder und Funktionen auf mehrere Fenster verteilt, die selbst für kurze Auskünfte erst geöffnet oder mehrmals verschoben werden müssen. Die Flexibilität der Gesprächsführung wird eingeschränkt durch starre Folgen von Eingabemasken, wenn ein Maskenabschluss Eingaben erzwingt oder sogar die bereits erfassten Daten löscht.

Unterforderungen durch Arbeitsteilung

Länge und Dauer der Kundengespräche sind den AgentInnen als Durchschnittswerte vorgegeben. Für viele Aufgabenbereiche heutiger Call-Center bewegen sie sich einschließlich einer Nachbearbeitungszeit im 3-4-Minutenbereich. In einer Achtstundenschicht sind also Gespräche mit mehr als 100 Personen zu führen.

Die Arbeitsaufgaben sind so aufgeteilt, dass die Vorgabewerte eingehalten werden können, wenn die Gespräche rein ergebnisorientiert ablaufen. Ist ein Gespräch beendet und sind die zugehörigen Kundendaten gespeichert, soll ein Auftrag abgeschlossen sein. Die Arbeitsaufgaben sind dabei oft von geringer Komplexität. Sie sind in einigen Wochen, manchmal schon in wenigen Tagen anlernbar; nach einiger Zeit kann die Arbeit auf Grund zu geringer sachlich-inhaltlicher Anforderungen und Vielfalt als langweilig empfunden werden.

Überforderungen durch Konzentrationsleistungen

Die Gleichzeitigkeit von Telefon- und Bildschirmarbeit verlangt über die Dauer jedes Telefongespräches sehr hohe Konzentrationsleistungen. Bildschirmanzeigen sind zu lesen und sofort im Gespräch zu erläutern. Zeitgleich ist einerseits das Kundengespräch vorgabengemäß und erfolgreich zu führen, andererseits die Computeranwendung korrekt zu bedienen. Dabei formulieren Anrufer ihre Bestellung natürlich nicht nach den Regeln (und Mängeln) der Software, sondern nach ihren eigenen Erfahrungen und Kommunikationsweisen. Wird etwa die Agentin, während sie noch in der Datenbank nach Produkteigenschaften sucht, danach gefragt, wie hoch die letzten Bestellmengen ausfielen, so muss sie sich inhaltlich auf die neue Fragestellung einlassen, Fenster verschieben, neue Suchoperationen anwählen, Bildschirmzeilen scrollen etc..

Hinzu kommt, dass die AgentInnen zumeist an nahe beieinanderstehenden Tischen arbeiten. Vor der Geräuschkulisse des Großraumbüros werden einzelne Telefonate der nächstgelegenen Tische wortwörtlich wahrgenommen. Eigene Kundengespräche unter diesen Bedingungen zu führen, erhöht die Konzentrationsanforderungen noch zusätzlich.

Überforderungen durch Zeitdruck

Das zu erwartende Anrufaufkommen soll so bewältigt werden, dass nicht übermäßig viele Anrufe in der Warteschlange stehen. Die Personalkapazitäten sind so bemessenen und die Arbeitsschichten so eingeteilt, dass fortlaufend die ergebnisorientierten, kurzen Gesprächseinheiten geführt werden und danach schnell wieder Bereitschaft für den nächsten Anruf besteht.

Wenn unerwartet vor Büroschluss viele Firmen noch schnell eine Bestellung aufgeben oder krankheitsbedingt Telefonplätze unbesetzt sind, entsteht Zeitdruck durch akute Überlast. Darüber hinaus ist Zeitdruck jedoch in grundsätzlicher Weise bei Telefonarbeit gegeben: Menschliche Kommunikation verläuft nicht ohne weiteres so, wie es die Vorgaben voraussetzen. Kunden, die ihre Kundennummer nicht parat haben oder sich nicht für eine Bestellung entscheiden können, drohen den "Schnitt kaputt zu machen". Nicht eingerechnet sind im Übrigen die Softwaremängel. Werden etwa die Reaktionszeiten des Systems langsamer oder lassen sich Informationen nicht schnell genug ausfindig machen, so darf all dieses die Gesprächsdauer und Warteschlangen nicht erhöhen.

Unter Zeitdruck entwickeln AgentInnen Strategien, die wiederum die Konzentrationsanforderungen erhöhen. Beispielsweise wird die ohnehin nur kurze Nachbearbeitungszeit reduziert, indem möglichst alle Systemeingaben parallel zur Gesprächsführung erledigt werden. Pausen werden nur dann genommen, wenn es die Warteschlangen zulassen oder ohnehin gerade der Rechner streikt.

ComCall-Projekt

Das Projekt Computereinsatz und Arbeitsgestaltung in Call-Centern (ComCall) an der Universität Bremen untersucht, welche Anforderungen und Belastungen auf Call-Center-Arbeit wirken. Es wird im Bremer Landesprogramm Arbeit und Technik gefördert. Inzwischen liegen die Ergebnisse von Arbeits- und Software-Analysen in drei Bremer Call-Centern vor. Ziel der Analysen ist die Verbesserung der organisatorischen und technischen Arbeitsbedingungen, so dass für die Beschäftigten attraktive und zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen. Neue Gestaltungskonzepte werden entwickelt und erprobt.

 

 


 

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