Psychische Belastungen entstehen, wenn auf
Grund organisatorischer Vorgaben oder organisatorischer und technischer
Bedingungen das Arbeitshandeln erschwert, behindert oder sogar blockiert wird.
Psychische Belastungen verursachen Stress. Krankheiten mit vielfältigen
Symptomen wie Rückenschmerzen, Konzentrationsstörungen,
Erschöpfungszuständen sind ihre längerfristige Folge. Wir zeigen im Folgenden
einige psychische Belastungen auf, die aus den Bedingungen von
Call-Center-Arbeit entstehen.
Behinderungen der Kommunikationsarbeit
Call-Center-Arbeit ist nur zu einem Teil zum
Bürobereich vergleichbare produkt- bzw. sachbezogene Bildschirmarbeit. Vielmehr
ist sie ohne das Telefongespräch zwischen AgentInnen und KundInnen gar nicht
denkbar. Wenn eine Bestellung aufgenommen wird, sind auch Fragen zu
Packungsgrößen, Preisvorteilen, Lieferzeiten etc. sofort mündlich zu
beantworten. Vielleicht ändern Kunden noch einmal die Aufträge, wenn sie Höhe
und Zusammensetzung der automatisch berechneten Beträge erfahren. Manche wollen
gar nicht bestellen, sondern Lieferungen reklamieren, sich beschweren oder
eigentlich den technischen Service sprechen. Nicht immer liegen Problemursachen
und -lösungen auf der Hand, sondern sind erst detailliert zu klären.
AgentInnen müssen diese Gespräche
situationsangemessen und eigenständig führen können. Die Vorgaben der
Arbeitsorganisation, deren Einhaltung z. B. durch zufällige Testanrufe
kontrolliert wird, führen oft jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
Beispielsweise ist es weit verbreitet den Dialogablauf durch schriftliche
Gesprächsleitfäden zu beeinflussen. Besitzen sie eine offene Struktur, die von
den AgentInnen abwandelbar ist, werden sie als Hilfe empfunden. Sie behindern
aber die Gesprächsführung, wenn sie den Gesprächsablauf fest vorschreiben,
womöglich durch wörtliche Formulierungen. Es gibt verbindliche Floskeln zur
Begrüßung und zum Gesprächsende, ferner eine Fülle von Anweisungen wie z.B.
Kunden persönlich anzureden, Gespräche freundlich zu führen und keine Pausen
entstehen zu lassen.
Von den AgentInnen wird eine persönliche
Kundenorientierung verlangt, die sich manchmal auf Stereotypen wie das
"Lächeln in der Stimme" zu reduzieren scheint. Nicht immer stößt
das vorgeschriebene Agentenverhalten auf Sympathie bei den Gesprächspartnern.
Der Umgang mit verärgerten Kunden stellt aber zusätzliche Belastungen der
Agentenarbeit dar.
Behinderungen durch unergonomische Software
Die Software am Arbeitsplatz sollte die
Telefonarbeit unterstützen. Meist jedoch erweist sie sich als besondere
Belastungsquelle. Das fängt schon damit an, dass es oft nur unter Anstrengungen
möglich ist die relevanten Bildschirmanzeigen aus zu klein geschriebenen,
ungruppierten Zeichenkolonnen oder vor schwarzem Hintergrund herauszusuchen. Die
Eingabemenge wird unnötig vergrößert, wenn innerhalb eines Gespräches
bereits gespeicherte Daten erneut zu erfassen sind oder jeder Anruf dieselben
Standardeinträge erfordert. In einem Fall zählten wir 30 Mausklicks nur zur
Abwicklung einer Telefonverbindung, ohne dass inhaltliche Eingaben erfolgten.
Insgesamt führen die Darstellungen und Dialogführungen zu körperlichen und
psychischen Belastungen, die bereits für eine reine Sachbearbeitung unzumutbar
sind. Sie behindern darüber hinaus wesentliche Teile der Kommunikationsarbeit.
Beispielsweise zwingen lange Antwortzeiten die AgentInnen systembedingte
Gesprächspausen zu überspielen. Oft sind die für einen Aufgabenbereich
gebrauchten Felder und Funktionen auf mehrere Fenster verteilt, die selbst für
kurze Auskünfte erst geöffnet oder mehrmals verschoben werden müssen. Die
Flexibilität der Gesprächsführung wird eingeschränkt durch starre Folgen von
Eingabemasken, wenn ein Maskenabschluss Eingaben erzwingt oder sogar die bereits
erfassten Daten löscht.
Unterforderungen durch Arbeitsteilung
Länge und Dauer der Kundengespräche sind den
AgentInnen als Durchschnittswerte vorgegeben. Für viele Aufgabenbereiche
heutiger Call-Center bewegen sie sich einschließlich einer Nachbearbeitungszeit
im 3-4-Minutenbereich. In einer Achtstundenschicht sind also Gespräche mit mehr
als 100 Personen zu führen.
Die Arbeitsaufgaben sind so aufgeteilt, dass
die Vorgabewerte eingehalten werden können, wenn die Gespräche rein
ergebnisorientiert ablaufen. Ist ein Gespräch beendet und sind die zugehörigen
Kundendaten gespeichert, soll ein Auftrag abgeschlossen sein. Die
Arbeitsaufgaben sind dabei oft von geringer Komplexität. Sie sind in einigen
Wochen, manchmal schon in wenigen Tagen anlernbar; nach einiger Zeit kann die
Arbeit auf Grund zu geringer sachlich-inhaltlicher Anforderungen und Vielfalt
als langweilig empfunden werden.
Überforderungen durch Konzentrationsleistungen
Die Gleichzeitigkeit von Telefon- und
Bildschirmarbeit verlangt über die Dauer jedes Telefongespräches sehr hohe
Konzentrationsleistungen. Bildschirmanzeigen sind zu lesen und sofort im
Gespräch zu erläutern. Zeitgleich ist einerseits das Kundengespräch
vorgabengemäß und erfolgreich zu führen, andererseits die Computeranwendung
korrekt zu bedienen. Dabei formulieren Anrufer ihre Bestellung natürlich nicht
nach den Regeln (und Mängeln) der Software, sondern nach ihren eigenen
Erfahrungen und Kommunikationsweisen. Wird etwa die Agentin, während sie noch
in der Datenbank nach Produkteigenschaften sucht, danach gefragt, wie hoch die
letzten Bestellmengen ausfielen, so muss sie sich inhaltlich auf die neue
Fragestellung einlassen, Fenster verschieben, neue Suchoperationen anwählen,
Bildschirmzeilen scrollen etc..
Hinzu kommt, dass die AgentInnen zumeist an
nahe beieinanderstehenden Tischen arbeiten. Vor der Geräuschkulisse des
Großraumbüros werden einzelne Telefonate der nächstgelegenen Tische
wortwörtlich wahrgenommen. Eigene Kundengespräche unter diesen Bedingungen zu
führen, erhöht die Konzentrationsanforderungen noch zusätzlich.
Überforderungen durch Zeitdruck
Das zu erwartende Anrufaufkommen soll so
bewältigt werden, dass nicht übermäßig viele Anrufe in der Warteschlange
stehen. Die Personalkapazitäten sind so bemessenen und die Arbeitsschichten so
eingeteilt, dass fortlaufend die ergebnisorientierten, kurzen
Gesprächseinheiten geführt werden und danach schnell wieder Bereitschaft für
den nächsten Anruf besteht.
Wenn unerwartet vor Büroschluss viele Firmen
noch schnell eine Bestellung aufgeben oder krankheitsbedingt Telefonplätze
unbesetzt sind, entsteht Zeitdruck durch akute Überlast. Darüber hinaus ist
Zeitdruck jedoch in grundsätzlicher Weise bei Telefonarbeit gegeben:
Menschliche Kommunikation verläuft nicht ohne weiteres so, wie es die Vorgaben
voraussetzen. Kunden, die ihre Kundennummer nicht parat haben oder sich nicht
für eine Bestellung entscheiden können, drohen den "Schnitt kaputt zu
machen". Nicht eingerechnet sind im Übrigen die Softwaremängel. Werden
etwa die Reaktionszeiten des Systems langsamer oder lassen sich Informationen
nicht schnell genug ausfindig machen, so darf all dieses die Gesprächsdauer und
Warteschlangen nicht erhöhen.
Unter Zeitdruck entwickeln AgentInnen
Strategien, die wiederum die Konzentrationsanforderungen erhöhen.
Beispielsweise wird die ohnehin nur kurze Nachbearbeitungszeit reduziert, indem
möglichst alle Systemeingaben parallel zur Gesprächsführung erledigt werden.
Pausen werden nur dann genommen, wenn es die Warteschlangen zulassen oder
ohnehin gerade der Rechner streikt.